Der ultimative Guide: Fallbearbeitung in Jura-Klausuren

Der ultimative Guide: 
Fallbearbeitung in Jura-Klausuren

Fehler vermeiden und höher punkten

Die Fallbearbeitung in Jura-Klausuren kann einschüchternd wirken: Du hast den Sachverhalt vor dir liegen, die Uhr läuft langsam, aber gleichmäßig runter, und du spürst, wie die ersten Unsicherheiten aufkommen. Der Prüfungsdruck, das breite Wissen, das man dir abverlangt, und die hohe Anforderung an Präzision – all das macht die Fallbearbeitung zu einer viel größeren Herausforderung als das simple Frage-Antwort-Spiel anderer Studiengänge. Die gute Nachricht ist, dass du mit dem richtigen Ansatz und ein paar praktischen Techniken zuverlässig Punkte sammeln kannst.

Mit diesem Guide bekommst du den ultimativen Fahrplan für die Fallbearbeitung an die Hand, vermeidest typische Fehler und formulierst klar. Von Zeitmanagement bis juristische Argumentation – hier erfährst du Schritt für Schritt, wie du sicher und effizient punktest.

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I. Überblick über typische Fehler in der Fallbearbeitung

Es gibt ein paar typische Stolperfallen, die in Jura-Klausuren immer wieder für Punktabzüge sorgen – und nein, wir reden hier nicht von Tippfehlern im E-Examen (wenn du zu den Glücklichen gehörst). 

Wer den Unterschied zwischen einem knappen Bestehen und einer Prädikatsklausur ausmachen möchte, sollte sich genau anschauen, wo die häufigsten Fehlerquellen liegen und wie man sie geschickt umgeht.

Fehler #1: Falllösungsroutine vermissen lassen

Ein klassischer Fehler: Man liest den Sachverhalt dreimal, hat eine grobe Idee von den aufgeworfenen Rechtsfragen und legt schon mal mit der Lösungsskizze los. Das Ergebnis? Ein Durcheinander, dem Korrektor*innen nur schwer folgen können. 

In der Fallbearbeitung gilt: Routine ist König (oder Königin!). Ohne ein klares System, das du jeder Bearbeitung – egal welches Rechtsgebiets – zugrunde legst, wirkt deine Lösung schnell unsortiert, und wichtige Aspekte gehen unter. 

Starte mit einer sorgfältigen Analyse von Fallfrage(n) und Bearbeitungshinweis und verfahre in jeder Klausur so. Deine Prüfer*innen werden es dir danken, denn eine starre Routine erleichtert das Verfolgen eines strukturierten Lösungswegs. Im zweiten Abschnitt dieses Artikels entwickeln wir sie Schritt für Schritt.

Fehler #2: Zeitmanagement aus dem Ruder laufen lassen

Ein bekanntes Phänomen: Fünf (oder auch nur zwei) Stunden lernen zu müssen, zieht sich wie Kaugummi, aber kaum sitzt man in der Klausur, vergeht die Zeit wie im Fluge. Zeitdruck führt oft dazu, dass man gezwungen ist, wichtige Punkte auszulassen, oder unnötige Fehler macht. 

Ein häufiges Problem in der Fallbearbeitung ist, dass man zu viel Zeit mit dem möglichst treffsicheren Formulieren von Kleinigkeiten vergeudet. Es gibt nur einen richtigen Zeitpunkt, um deine Formulierungen in der Klausur zu polieren: in der Vorbereitung auf die Klausuren. Verschwende keine Zeit damit, jeden Satz zu einem Meisterwerk zu machen, wenn am Ende der eigentliche Kern – die entscheidungserheblichen Rechtsfragen – nicht richtig ausgearbeitet ist. 

Ich benutze seit zehn Jahren für die einzelnen Schritte des Gutachtenstils dieselbe Formulierung: 

  • Obersatz: Hierzu müsste … 
  • Definition: Dies setzt voraus, dass … 
  • Subsumtion: Vorliegend … 
  • Ergebnis: Somit … 

Es hat mir nicht geschadet. Eine Entscheidung weniger, die ich treffen muss. 

Wie du dein Bearbeitungszeitmanagement in den Griff bekommst, besprechen wir im dritten Abschnitt dieses Artikels.

Fehler #3: Fachliche Unsicherheiten offenbaren

Wenn man sich in einem Pflichtfach unsicher fühlt, läuft man Gefahr, Normen falsch oder wahlweise die falschen Normen anzuwenden. Beides kostet schnell viele Punkte. 

Statt auf bloße Intuition zu setzen, hilft hier das gezielte Ausbilden von Systemverständnis. Befasse dich also eingehend mit der Systematik des Rechts: 

  • Wie hängen verschiedene Dinge zusammen? 
  • Widersprechen sich zwei Normen oder haben sie doch unterschiedliche Anwendungsbereiche? 
  • Ist der vorliegende Fall tatsächlich im Gesetz geregelt? 

Nicht jede fachliche Lücke lässt sich jedoch mit Systemverständnis schließen. Wenn du für den Fall der Fälle ein Sicherheitsnetz haben möchtest, markiere dir in deinen Unterlagen die Konzepte oder Tatbestandsmerkmale, die Einzelwissen repräsentieren, das du dir nicht erschließen kannst, und führe eine fortlaufende Liste. Die wenigsten Informationen sind wirklich wichtig. Dieser ehrliche Backlog ist keine To-do-Liste, die du eh nie abarbeiten wirst.

Komm vor Klausuren immer wieder darauf zurück und achte darauf, sie priorisiert zu halten. Die Farben symbolisieren, wie rot (oder grün!) dich die einzelnen Themen erwischen würden.

Fehler #4: Das Einmaleins des Kleingedruckten missachten

Scheinbar nebensächliche Hinweise im Sachverhalt bergen oft großes Fehlerpotenzial. Lies den Sachverhalt also immer Satz für Satz und Wort für Wort und frage dich permanent: 

  • Was will Klausurersteller*in mir damit sagen? 
  • Welches Tatbestandsmerkmal innerhalb welcher Norm wird damit angesprochen? 
  • Ist das eine grüne oder eine rote Ampel? 

Dein Ziel sollte es stets sein, möglichst nah an die Musterlösung heranzuschreiben. Spiel deine eigene Lösung also gedanklich durch und überlege, ob du darin tatsächlich auch alle aufgeworfenen Rechtsfragen beantwortet hast. Wenn ja, bist du auf der sicheren Seite und die Wahrscheinlichkeit hoch, das Muster zu treffen.

II. Die richtige Routine – So gehst du bei der Fallbearbeitung vor

Eine zuverlässige Routine bildet das Rückgrat jeder guten Fallbearbeitung. Sie hält deine Gedankengänge zusammen, hilft dir, einen roten Faden beizubehalten, und sorgt dafür, dass deine Sätze wie ein Uhrwerk ineinandergreifen. Ohne Routine geht der Überblick verloren – und das spüren Prüfer*innen sofort.

Schritt #1: Lückenlose Erfassung des Sachverhalts

Bevor du auch nur an die Lösung denkst, heißt es: langsam und ganz genau lesen! Oft steckt der Teufel im Detail. Zwinge dich dazu, den Sachverhalt in aller Ruhe zu lesen, und schreibe dir zentrale Fakten, Datumsangaben und Verhältnisse auf ein separates Blatt Papier. Überlege: 

  • Was ist genau passiert und was hat das zu bedeuten? 
  • Wer sind die Beteiligten? 
  • Welche ihrer Handlungen oder Aussagen haben rechtliche Relevanz?

Mit 15 Jahren Klausurerfahrung kann ich dir guten Gewissens sagen, dass es nur eine Methode gibt, die wirklich funktioniert. Ich nenne sie Mindning. Dabei hältst du die Ergebnisse deiner Sachverhaltsanalyse in einer Tabelle mit drei Spalten fest. 

Etwa so:

Stell dir den Sachverhalt wie ein Puzzle vor – dein Job ist es, die Teile zu einem kohärenten Gesamtbild zusammenzufügen. Dabei gilt: niemals überfliegen, sondern in dieser Phase besonders aufmerksam bleiben, um Überraschungen zu vermeiden, deren Folgen du später nicht mehr revidieren kannst.

Schritt #2: Konkrete Benennung der Rechtsfragen

Nachdem du den Sachverhalt lückenlos erfasst hast, listest du alle Rechtsprobleme auf, die sich im Fall stellen. Um das jeweilige Problem eindeutig definieren zu können, empfiehlt es sich, es in eine Frage umzuwandeln, die du mit Ja oder Nein beantworten kannst. 

  • Aus »Anforderungen an die Fristsetzung im Sinne des § 281 BGB« wird »Erfüllt eine Aufforderung zum schnellstmöglichen Nacherfüllen die Anforderungen an eine Fristsetzung im Sinne des § 281 BGB?«. 
  • Aus »Wissenszurechnung bei juristischen Personen« wird »Setzt eine Wissenszurechnung analog § 166 Abs. 1 BGB voraus, dass der Wissensvertreter eine gewisse Verantwortung für das konkrete Geschäft hatte?«. 

Du merkst: Das Problem wird augenblicklich greifbarer – und das macht es später leichter, es zu lösen.

Schritt #3: Effiziente Erstellung der Lösungsskizze

Ich sag’s dir, wie es ist: Du musst eine Lösungsskizze erstellen. Um effektiv zu sein, muss sie jedoch keineswegs ausführlich sein. Je nach Klausur genügt es schon, die wichtigsten Anspruchsgrundlagen, Straftatbestände oder Grundrechte zusammenzutragen und in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen. 

Anschauliche Beispiele dafür sind:

  • verbotswidriges Parken auf einem fremden Grundstück
  • unberechtigte Weitervermietung
  • Diebstahl einer Sache

Hier gilt es, die zu prüfenden Tatbestände mehr abzuhaken, als zu prüfen – Vollständigkeit vor Qualität. 

Dann wiederum gibt es Klausuren, die von einer sehr feinen Gliederung profitieren, weil du andernfalls die Systematik aus den Augen verlierst. Ohne eine kleinschrittige Aufsplittung der relevanten Normen wird es dir kaum gelingen, die Rechtmäßigkeit eines Kostenbescheids zu prüfen. 

Für die meisten Fälle empfiehlt sich wie so oft ein Mittelweg: größtenteils grobgliedrig, hingegen feingliedrig bei den in Schritt 2 identifizierten Rechtsproblemen.

Schritt #4: Zielgerichtete Priorisierung des Lösungswegs

Wie du im nächsten Abschnitt sehen wirst, ist es das A und O jeder Klausurbearbeitung, fertig zu werden und trotzdem sicherzustellen, dass du an den entscheidenden Stellen umfassend argumentierst. Schau dir also jeden Prüfungspunkt in deiner Lösungsskizze gesondert an und entscheide bereits jetzt, in welchem Umfang du ihn später im Gutachten abhandeln möchtest. So beugst du Entscheidungsmüdigkeit zu einem späteren Zeitpunkt der Bearbeitung effektiv vor.

Du hast jeweils vier Optionen: 

  • bloße Feststellung des Ergebnisses (F)
  • Verwendung des Gutachtenstil (G)
  • zumindest kurze argumentative Auseinandersetzung (p)
  • tiefgreifender Begründungsaufwand (P) 

Vermerke dir vor oder nach der jeweiligen Gliederungsebene den entsprechenden Buchstaben. So erkennst du schnell, ob das Gesamtkonzept stimmig oder die Schwerpunktsetzung misslungen ist.

Schritt #5: Rechtzeitige Vorbereitung der Argumentation

Juristische Argumentation ist mehr als eine Plattitüde, die man in der Kneipe vom Stapel lässt – es ist ein strukturiertes, nachvollziehbares Denken in rechtlichen Größen. Die wenigsten können einfach so schlüssig drauflos argumentieren. 

Damit du später in der Reinschrift nicht zwischen oberflächlichen Argumenten hin- und herspringst oder gar deine persönliche Meinung einbringst, solltest du deine Stellungnahme bei den entscheidenden Rechtsfragen entsprechend vorbereiten. Ein einfacher Argumenteschmierzettel mit zwei Spalten – links Pro- und rechts Contra-Argumente – ist völlig ausreichend. 

Hauptsache, du versuchst nicht, deine Argumente später in der Reinschrift, wenn du mental weitaus weniger frisch bist, aus dem Stegreif zu entwickeln. Der Argumenteschmierzettel sorgt dafür, dass du beim eigentlichen Formulieren nur noch ausführen musst.

III. Die Bedeutung des Zeitmanagements

Zeitmanagement ist in der Fallbearbeitung der entscheidende Faktor zwischen einer praktisch verwertbaren und einer praktisch unbrauchbaren Lösung – und damit letztlich oft auch zwischen »durchgefallen« und »am Rande bestanden«. In der Klausursituation ist Zeit das knappste Gut, und wer sie nicht im Griff hat, läuft Gefahr, in der Hektik unwichtige Punkte zu stark auszubreiten oder – im Gegenteil – wichtige Punkte nicht mehr ansprechen zu können. Doch mit der richtigen Strategie lässt sich der Zeitdruck gezielt entschärfen. Sehen wir sie uns gemeinsam an.

1. Zeit im Blick behalten

Ein funktionierendes Zeitmanagement in der Fallbearbeitung beginnt mit einer simplen Aufteilung der Bearbeitungszeit in zwei Phasen: 

  • Vorbereitungsphase
  • Schreibphase 

Die Vorbereitungsphase beinhaltet das genaue Lesen, Analysieren und Strukturieren des Sachverhalts. In dieser Phase musst du die Klausur vollständig durchdringen; daraufhin erstellst du eine Lösungsskizze und verschaffst dir einen umfassenden Überblick über den Fall und dessen Lösung. 

Der Rest der Zeit geht an die Schreibphase, in der du dich an die eigentliche Arbeit machst, die benotet wird.

2. Marker festlegen

Um nicht ins Schleudern zu geraten, setzt du dir für jeden Bearbeitungsschritt am besten klare Zeitmarken: 

  • Plane etwa ein Fünftel der gesamten Bearbeitungszeit für die Arbeit mit dem Sachverhalt ein. Je nachdem, welchen Umfang deine Klausuren haben, ist das bloß eine Pomodoro-Einheit oder eine volle Stunde. 
  • Ein weiteres Fünftel verwendest du auf das Erstellen der Lösungsskizze und die Vorbereitung deiner Reinschrift. 
  • Für die Schreibphase kannst du dich ebenfalls an Zeitvorgaben orientieren. 60 % der Bearbeitungszeit sind ein guter Richtwert, während manche Kandidat*innen es bevorzugen, sich im Strafrecht sogar noch etwas mehr Zeit zu geben.

3. Puffer und Pausen einplanen

Manchmal ist der Kopf einfach blockiert – das kann in der Hitze des Gefechts schnell passieren. Mir wäre es aber noch lieber, wenn du es gar nicht so weit kommen lässt, indem du kleine Pufferzeiten einplanst, um auch mal kurz durchatmen oder aufs Klo gehen zu können. 

  • Fünf Minuten »Luft« am Ende der Klausur können den Unterschied machen, wenn das dafür sorgt, dass du bei der letzten Tatbestandsprüfung nicht ständig daran denkst, noch die Seiten durchnummerieren zu müssen. 
  • Eine etwas längere Pause zwischen Vorbereitungs- und Schreibphase hilft, den Kopf freizubekommen und mit frischer Konzentration weiterzumachen. Ich habe in dieser Zeit routinemäßig alle Sachen beiseitegeschoben und Platz für mein zweites Frühstück gemacht. Wenige machen das so, aber es tut gut.

4. Gelassen bleiben (auch wenn’s eng wird)

Auch die besten Pläne helfen nichts, wenn du unter all dem Druck und den Erwartungen die Nerven verlierst. Ein guter Umgang mit der Zeit erfordert auch Gelassenheit. Oh, wie schön – das reimt sich sogar! 

Erkläre deine Probeklausuren zur gezielten Übung, dich nicht stressen zu lassen, wenn die Zeit knapp wird, sondern systematisch weiterzuarbeiten. Falls du feststellst, dass du wirklich in Zeitnot kommst und ein abrupter Abbruch der Bearbeitung droht, konzentriere dich auf die wichtigsten Tatbestandsprüfungen und arbeite wenigstens diese präzise ab. Deine Prüfer*innen wissen, wie knapp die Zeit bemessen ist, und eine schlüssige, wenn auch knappe Argumentation wird besser bewertet als eine ausufernde, aber unvollständige. 

Blitzklausuren sind eine effektive und effiziente Möglichkeit, das Zeitmanagement zu optimieren. Dabei wird die Bearbeitungszeit um 40 % verkürzt. In Examensklausuren bedeutet das etwa, dass der Sachverhalt anderthalb Stunden durchdacht und die Niederschrift ebenfalls in anderthalb Stunden angefertigt wird.

IV. Tipps zur Vermeidung von Fehlern und zur Maximierung der Punktzahl

Wenn es um Jura-Klausuren geht, heißt es: Fehler vermeiden und gezielt punkten. Damit du dabei die Balance findest, habe ich vier Tipps zusammengestellt, die dir helfen werden, die für dich beste Note zu erzielen.

Tipp #1: Präzise antworten

Ein häufiger Fehler ist es, von der eigentlichen Fragestellung abzukommen. Eine klare Antwort auf die Fallfrage katapultiert dich augenblicklich in die Klausur. 

  • Kann K vom Vertrag zurücktreten? K kann vom Vertrag zurücktreten, wenn ihr ein Rücktrittsrecht zusteht.

⇨ Du prüfst die Voraussetzungen der §§ 323 f. BGB. 

  • Kann V von M aufgrund der ausgesprochenen Kündigung Rückgabe der Wohnung jetzt oder in der Zukunft verlangen? V kann Rückgabe der Wohnung jetzt oder in der Zukunft verlangen, wenn die von ihm ausgesprochene Kündigung wirksam ist. 

⇨ Du prüfst zunächst die Wirksamkeit einer außerordentlichen (»jetzt«), dann einer ordentlichen Kündigung (»oder in der Zukunft«).

Sobald du dir diese Vorgehensweise angewöhnt hast, wirst du feststellen, dass aus deinem Obersatz also fast automatisch dein Prüfprogramm folgt. 

Nutze während der Bearbeitung »Check-ins«, bei denen du kurz reflektierst: »Beantworte ich noch immer die Fallfrage?« So bleibst du fokussiert und minimierst das Risiko, dich zu verzetteln oder in Nebensächlichkeiten zu verlieren, die nur Zeit kosten und keine Punkte bringen.

Tipp #2: Regelmäßig üben

Routine ist ein unterschätzter Vorteil in der Fallbearbeitung, und ich hoffe, ich konnte dich bereits im ersten Abschnitt dieses Artikels davon überzeugen, dir eine anzueignen. Je öfter du die fünf Schritte der Vorbereitungsphase trainierst, desto schneller und sicherer wirst du. 

Nutze gezielt Übungsklausuren, nachdem du diesen Teil der Klausurbearbeitung automatisiert hast, um dich an den Ablauf zu gewöhnen und ein Gefühl für den Rhythmus unter Zeitdruck zu bekommen. Achte darauf, wo du immer wieder ins Stocken gerätst. Möglicherweise ist das der Engpass, der deinen Fortschritt insgesamt hemmt und dich in den Klausuren zurückhält. Priorisiere diesen Aspekt bis auf Weiteres beim Lernen. 

Du weißt ja: Jedes System ist nur so zuverlässig wie sein schwächstes Glied.

Tipp #3: Stile kennen

Im ersten Semester lernst du den Gutachtenstil. Spätestens in der Examensvorbereitung und den ersten Probeklausuren stellst du allerdings fest, dass du mit keiner Klausur fertig wirst, wenn du durchgängig Obersatz, Definition, Subsumtion und Ergebnis formulieren musst. Zwangsläufig lernst du daher auch andere Schreibstile kennen, die ebenfalls zulässig im (ersten) Examen sind. 

  • Der Gutachtenstil ermöglicht eine kleinschrittige Gedankenführung und Argumentation. 
  • Der Feststellungsstil trifft eine knappe Aussage ohne Begründung. 
  • Der verkürzte Gutachtenstil ist leicht lesbar und eignet sich gerade auch für sich wiederholende Tatbestandsprüfungen. 
  • Der verschränkte Gutachtenstil erlaubt eine effiziente Abhandlung, ohne die Definition zu vernachlässigen. 

Du kannst jedes Mal aus diesen vier Optionen wählen und den Punkt kurz und knapp bis lang und ausführlich abhandeln.

Tipp #4: Systematik folgen

Du hast vielleicht schon gehört, dass es Prüfer*innen nicht nur darauf ankommt, was du sagst, sondern wie du es sagst. In einer Prüfung kann der erste Eindruck den Unterschied machen. Deshalb ist es so wichtig, nicht direkt mit der Lösung ins Haus zu fallen. Zwar musst du zeigen, dass du das Problem erkannt hast und eine klare Antwort liefern kannst; allerdings macht das eine systematische Herleitung des Problems keinesfalls redundant. 

Eine der wichtigsten Fragen, die du dir stellen kannst, lautet: Warum ist das ein Problem? Ich beobachte das immer wieder bei der Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung. Nur wenige Kandidat*innen sind in der Lage, systematisch herzuleiten, warum sich das Abgrenzungsproblem überhaupt stellt. 

Nicht mit der Tür ins Haus zu fallen, ist übrigens nicht das Gleiche wie Umwege zu nehmen, erst mal den gesamten Fall nachzuerzählen oder nicht zum Punkt zu kommen. Es spricht nichts dagegen, bei einigen Rechtsfragen schnell eine Lösung zu entwickeln, um sicherzustellen, dass du das Gutachten tatsächlich abschließt (vgl. III.).

V. Die wichtigsten Techniken der juristischen Argumentation

In einer Jura-Klausur zu überzeugen bedeutet, mehr als nur die Gesetze zu kennen und auswendig gelerntes Wissen dort abzuladen, wo es hingehört. Die richtigen Argumentationstechniken sind essenziell, um auf dem Papier logisch und klar zu bleiben und Prüfer*innen zu zeigen, dass du dein Handwerk verstehst. Deshalb findest du hier meine fünf besten Techniken, um 100 % vertretbar zu argumentieren und mit ein bisschen Übung in die oberen Punkteregionen vorzustoßen.

Technik #1: Tatsächlich einfache Fälle

Bei dieser Methode vergleichst du zwei Fälle miteinander und leitest aus diesem Vergleich Argumente ab. Zunächst identifizierst du die für die Rechtsfrage maßgebende Norm (z. B. § 280 Abs. 1 BGB). Dann bildest du einen tatsächlich einfachen Fall – einen simplen, superkurzen Sachverhalt, der in den Kernbereich der Normanwendung fällt: M verpflichtet sich im Mietvertrag, die Wohnung des V regelmäßig zu lüften, um Schimmelbildung vorzubeugen; er kommt dieser Pflicht jedoch bewusst nicht nach, wodurch Schimmel entsteht. 

Dein tatsächlich einfacher Fall kann ein anderer als mein tatsächlich einfacher Fall sein. Das ist nicht der Punkt. Wichtig ist, dass du einen Fall bildest, bei dem du in der Klausur im Rahmen der Subsumtion nicht einen Moment zögern würdest. 

Deine Aufgabe besteht nun darin, Klausur- und tatsächlich einfachen Fall miteinander zu vergleichen. Je nachdem, wie nah oder fern der Klausurfall dem tatsächlich einfachen Fall ist, entwickelst du mehr Argumente für oder gegen die Subsumtion des strittigen Begriffs. Alle Gemeinsamkeiten werden zu Pro-, alle Unterschiede zu Contra-Argumenten.

Technik #2: Extrempositionen

Viele Meinungsstreite kannst du dir durch die Bildung extremer Gegenpositionen nicht nur erschließen, sondern auch lösen. Vertritt einerseits ein extrem strenges Verständnis des strittigen Begriffs und andererseits ein extrem lockeres; durch das Finden der »Mitte« erreichst du schließlich ein interessengerechtes Ergebnis. 

Probier das mal anhand der Frage aus, wann eine Willenserklärung unter Anwesenden zugeht. Du wirst feststellen, dass sich strenge und eingeschränkte Vernehmungslehre fast wie von selbst ergeben. 

Technik #3: Erklärung (Warum?)

Eine schlüssige Begründung wirkt wie ein stabiles Fundament für ein zunächst oberflächlich scheinendes Argument. Wenn du meinem Ratschlag gefolgt bist (vgl. II. 2.) und fortan jedes Rechtsproblem in eine Ja-nein-Rechtsfrage umwandelst, gehst du mit einem simplen »Warum?« argumentativ in die Tiefe und hinterfragst die Gründe und Prinzipien, die hinter der Rechtsfrage und unterschiedlichen Antworten darauf stehen. 

Stell dir vor, du bildest eine Kette. Jede Aussage baut auf der vorhergehenden auf, sodass die Argumentation als Ganzes lückenlos und überzeugend bleibt. Eine Behauptung allein reicht nicht; du brauchst die passende Begründung und, wenn möglich, eine weitere, die deinen Standpunkt untermauert. 

Die bloße Behauptung, § 119 Abs. 2 BGB sei nach Gefahrübergang nicht neben dem kaufrechtlichen Gewährleistungsrecht anwendbar, ist nichts weiter als das – eine Behauptung. Warum ist § 119 Abs. 2 BGB nicht anwendbar? Weil die §§ 434 ff. BGB spezieller sind. Warum sind sie spezieller? Weil die §§ 434 ff. BGB nur für Sachen gelten, die der Verkäufer dem Käufer verschafft hat, § 119 Abs. 2 BGB dagegen unabhängig vom Vertragstyp.

In der Reinschrift zäumst du dann das Pferd von hinten auf, indem du deine Argumentation mit der letzten Antwort auf die Warum-Frage beginnst (§§ 434 ff. BGB gelten nur für Kaufverträge) und mit der oberflächlichsten Aussage abschließt (§ 119 Abs. 2 BGB ist nicht neben §§ 434 ff. BGB anwendbar). So stellst du immer die Begründung voran, bevor du schlussfolgerst. Gutachtenstil eben 😎.

So zu denken, hilft nicht nur, zu erkennen, was das Recht ist, sondern auch zu verstehen, warum es so gestaltet ist. 

Zu erklären bedeutet, hinter die Kulissen zu blicken.

Technik #4: Folgenbetrachtung (Was wäre, wenn …?)

Rechtsprobleme lassen sich auch dadurch lösen, dass du die Ja-nein-Frage zum Anlass nimmst, zu überprüfen, wie die Welt aussähe, wenn du das Problem auf die eine oder die andere Weise lösen würdest. Ein simples »Was wäre, wenn …?« zwingt dich dazu, über den Tellerrand zu schauen. Du betrachtest den Fall aus mindestens einer weiteren Perspektive und gewinnst so ein tieferes Verständnis für die möglichen Ausgänge. Anders als bei der Erklärung gehst du argumentativ also in die Breite. 

Beispiel: Eine Kürzung des Anspruchs des Kindes gegen den Schädiger um den Mitverschuldensanteil seiner Eltern nach den Grundsätzen der gestörten Gesamtschuld hätte etwa zur Folge, dass die Haftungsprivilegierung des § 1664 Abs. 1 BGB leerliefe. 

Die Folgen zu betrachten bedeutet, die rechtlichen und praktischen Konsequenzen einer bestimmten Lösung zu durchdenken.

Technik #5: Erfindung (Was muss ich tun, damit …?)

Die Erfindung ermöglicht dogmatische Kunstgriffe, indem sie dir ein Mittel an die Hand gibt, eine bestimmte Lösung zu erzwingen. Der Frage »Was muss ich tun, damit …?« liegt ein problemorientiertes Denken zugrunde; sie richtet den Blick von der Systematik auf das gewünschte Ergebnis, das du intuitiv für richtig hältst und/ oder als gerecht empfindest. 

Der rechtliche Rahmen, der dir dafür zur Verfügung steht, beinhaltet:

  • Analogiebildung
  • teleologische Reduktion
  • extensive und restriktive Auslegung
  • Einführung ungeschriebener Tatbestandsmerkmale

Bei der Erfindung geht es also primär um praktische Erwägungen des Rechts. Sie schärft deine Fähigkeit, nicht nur als Rechtsinterpret*in, sondern auch als Rechtsgestalter*in zu denken. 

Zu erfinden bedeutet, kreative Lösungen zu entwickeln.

Nicht zuletzt: Effizienz durch Fokus

Juristische Argumentation erfordert, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. In der Klausur solltest du dich daher auf die Rechtsfragen konzentrieren, die geeignet sind, den Fall zu entscheiden oder jedenfalls die Lösung entscheidend zu beeinflussen (Weichensteller). 

  • Führt das Versterben der Beschwerdeführerin zu einer Unzulässigkeit der Klage? 
  • Ist A vom Versuch zurückgetreten oder nicht? 
  • Hat K den Vertrag genehmigt, nachdem er volljährig wurde? 

So bleibt deine Argumentation zielgerichtet und Prüfer*innen erkennen auf den ersten Blick, dass du die Schlüsselaspekte erfasst hast. Für sie wird deine Klausur augenblicklich attraktiver, wenn sie sich nicht durch seitenlange Ausführungen wühlen müssen, die gar nicht entscheidungserheblich sind. Was sie wollen, ist eine prägnante Lösung, die auf den Punkt kommt. Und das ist genau der Stil, den du dir aneignen solltest. 

Verzichte auf lange, komplizierte Sätze. Kurz und bündig lautet die Devise. Stell dir vor, du müsstest die Kernpunkte in nur zwei Sätzen zusammenfassen. Diese Übung hilft, den Blick für das Wesentliche zu schärfen und gleichzeitig präzise zu bleiben.

Dein Weg zur erfolgreichen Fallbearbeitung

Die Fallbearbeitung in Jura-Klausuren ist ohne Frage (no pun intended) anspruchsvoll, aber mit der richtigen Vorbereitungsstrategie und den passenden Techniken hast du alles, was du brauchst, um sicher und strukturiert ans Ziel zu kommen. 

Der Schlüssel liegt in einer festen Routine, einem bewussten Zeitmanagement und präziser Argumentation. Kleine, vermeidbare Fehler bringen oft unnötigen Punktabzug – doch genau die kannst du mit einem gut durchdachten Ansatz minimieren.

Denk daran, dass jede Klausur eine Gelegenheit ist, deinen eigenen Stil zu verfeinern und deine Routine zu festigen. Gehe die Schritte durch, halte dich an die erprobten Argumentationstechniken und lass dich auch in stressigen Momenten nicht aus der Ruhe bringen. Übung macht hier tatsächlich den Meister. Setze die Tipps um, lerne aus jeder Klausur und mach die Fallbearbeitung zu deiner Stärke. 

Wie es für dich weitergeht

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