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JNG #207: Alles zum europarechtlichen Diskriminierungsverbot

Lesezeit: 4 Minuten

Willkommen zu Ausgabe #207 des Newsletters!

 

Wenn du dir vorab einen Überblick über die Inhalte dieser Ausgabe verschaffen möchtest, lies am besten als Erstes die folgende Zusammenfassung.

TL;DR:

  • Es ist möglich, die Grundrechtsgeltung auf ausländische juristische Personen innerhalb der Europäischen Union auszuweiten, wenn man das Diskriminierungsverbot berücksichtigt.
  • Dies kann entweder durch Ignorieren des Merkmals der Inlandszugehörigkeit (teleologische Reduktion) oder durch die Bildung einer vergleichbaren Interessenlage (Analogie) erreicht werden.
  • In Bezug auf Deutschengrundrechte kann sich eine ausländische juristische Person auf die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) berufen, wobei die zu Art. 12 Abs. 1 GG entwickelten Grundsätze heranzuziehen sind. 

 

***

 

Wir sind uns darüber einig, dass die Grundrechte der wichtigste Eckpfeiler eines jeden Rechtsstaats sind. Bei der Frage, ob auch ausländischen juristischen Personen mit Sitz innerhalb der EU ein solcher Schutz gewährt werden sollte, stehen jedoch allgemeine Dogmatik und Diskriminierungsverbot im Konflikt. Der folgende Beitrag untersucht daher, wie eine Ausweitung der Grundrechtsgeltung auf ausländische juristische Personen innerhalb der EU ermöglicht werden kann (I.) und ob sich ein solcher Schutz auch im Zusammenhang der Deutschengrundrechte erreichen lässt (II.).

 

I. Zulässigkeit: Grundrechtsgeltung für ausländische juristische Personen innerhalb der EU

Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind (Art. 19 Abs. 3 GG). Eine inländische juristische Person ist eine solche, die ihren Sitz, also praktisch ihre »Lebensgrundlage«, im Inland hat.

Das kannst du gedanklich hervorragend mit den Grundsätzen zu § 5 StGB verknüpfen, den Auslandstaten mit besonderem Inlandsbezug. 

In der Original-Examensklausur Ö II 691 aus Oktober 2020 wurden die Kandidat*innen mit der F mit Sitz in Dublin bekannt gemacht, die für das US-amerikanische Unternehmen F-Book Inc. das Europageschäft betreibt. Selbst wenn F ihr soziales Netzwerk natürlich auch in Deutschland anbietet, ändert das nichts daran, dass sie ihre Tätigkeit in Irland ausübt. Die »Lebensgrundlage« ist somit gerade nicht in Deutschland; F ist eine ausländische juristische Person, für die die Grundrechte grundsätzlich nicht gelten.

Hier kommt nun das Diskriminierungsverbot ins Spiel. Im Anwendungsbereich von AEUV und EUV ist nämlich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten (vgl. Art. 18 Abs. 1 AEUV). Der F könnte also zugutekommen, dass sie ihren Sitz immerhin in der EU, wenn auch nicht in Deutschland, hat.

Das Diskriminierungsverbot gebietet es, auch juristischen Personen im Anwendungsbereich von AEUV und EUV die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht zu ermöglichen. Dadurch wird eine Benachteiligung wegen des Sitzes ausgeschlossen.

Die F nimmt am freien Dienstleistungsverkehr (vgl. Art. 56 AEUV) teil, indem sie ihr soziales Netzwerk in Deutschland betreibt, sodass auch der teilweise geforderte Inlandsbezug gegeben ist. Somit befindet sich die F eindeutig im Anwendungsbereich der Verträge; das Diskriminierungsverbot (Art. 18 Abs. 1 AEUV) greift.

Die Bundesrepublik hat sich als Mitgliedsstaat verpflichtet, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichbehandlung von inländischen juristischen Personen und ausländischen juristischen Personen innerhalb der EU zu fördern. Daraus folgt, dass sie die Grundrechtsgeltung im Wege des Art. 19 Abs. 3 GG auf F erweitern muss. Dogmatisch lässt sich diese Lösung entweder über eine teleologische Reduktion (bei dem das Merkmal inländisch faktisch ignoriert wird) oder eine Analogie erreichen (bei der eine vergleichbare Interessenlage zwischen inländischen juristischen Personen und solchen innerhalb der EU gebildet wird).

Derart ausführlich musst du das in deiner Klausur übrigens nicht darstellen. Ich empfand es allerdings als wichtig, die Rechtsfrage an dieser Stelle umfassend zu beantworten, damit du verstehst, wo genau eigentlich das Problem liegt. Es steht dir frei, im Rahmen der Prüfung der Beschwerdefähigkeit über das Problem hinwegzuschreiben. Für die Beschwerdefähigkeit kommt es nämlich streng genommen bloß darauf an, ob die Beschwerdeführerin überhaupt Trägerin von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten sein kann. Auch ausländische juristische Personen haben Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und einen gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG). Entscheidest du dich für diesen Weg, musst du erst im Rahmen der Prüfung der Beschwerdebefugnis näher Stellung beziehen.

 

II. Begründetheit: Eröffnung des persönlichen Schutzbereichs bei Deutschengrundrechten

Im Rahmen der Begründetheit der Verfassungsbeschwerde einer ausländischen juristischen Person mit Sitz innerhalb der EU stellt sich womöglich noch die Frage, ob der persönliche Schutzbereich auch bei sog. Deutschengrundrechten eröffnet ist. Wir wollen dies einmal beispielhaft an der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) demonstrieren.

Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, dass juristische Person nicht deutsch im Sinne der Deutschengrundrechte sein können, da für dieses Charakteristikum im Regelfall die Staatsangehörigkeit maßgebend ist (vgl. Art. 116 Abs. 1 GG). Entscheidend ist erneut ihr Sitz, der wiederum im Ausland, aber immerhin innerhalb der EU liegt. Und erneut lässt sich das Diskriminierungsverbot (Art. 18 Abs. 1 AEUV) ins Feld führen. Jedoch stellt sich die Lage hier anders dar, weil man F auf das Auffanggrundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) verweisen könnte. Es steht also gar nicht zu befürchten, dass eine ausländische juristische Person mit Sitz innerhalb der EU ohne Grundrechtsschutz bleibt. Allerdings gebietet Art. 2 Abs. 1 GG einen geringeren Schutz als das speziellere Freiheitsrecht des Art. 12 Abs. 1 GG. Das Durchschlagen des Diskriminierungsverbots führt in diesem Zusammenhang deshalb dazu, dass die F sich nur auf die allgemeine Handlungsfreiheit berufen kann, für diese aber ausnahmsweise die entwickelten Grundsätze zu Art. 12 Abs. 1 GG (unter anderem die Dreistufentheorie) heranzuziehen sind. So lässt sich eine faktische Gleichheit vor dem Gesetz herstellen.

Einige Vertreter*innen sprechen sich darüber hinaus für eine rechtliche Gleichheit vor dem Gesetz aus. Diese könne nur dadurch erreicht werden, dass sich auch ausländische juristische Personen mit Sitz innerhalb der EU auf Deutschengrundrechte wie Art. 12 Abs. 1 GG berufen könnten. Folgst du diesem Ansatz, gelten die oben zu Art. 19 Abs. 3 GG entwickelten Lösungsvorschläge (wahlweise teleologische Reduktion oder Analogie) entsprechend.

 


 

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